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Neuerscheinungen von Random House/Bertelsmann * Sommer/Herbst 2013

Botho Strauß: Lichter des Toren: Der Idiot und seine Zeit

Strauß wirft mal wieder mit geglückten und beglückenden Formulierungen nur so um sich: „Das Innere der Dummheit ist zart und durchsichtig wie ein Libellenflügel. Es schillert von überwundener Intelligenz“, er schafft Begriffe, die in ihrer Klarheit einfach überwältigen: „der Info-Demente“ und die „Bakterienschwärme(n) neuer Medien“.

Indem Strauß den Toren und Idioten zum Gegenstand seines Essays macht, präsentiert er den Typus des Antihelden, auch als Schelm oder Narr, der Literatur als leuchtendes Beispiel. Der Idiot ist ihm vor allem Nichtkenner, Privater und Einzelperson. Das heißt, er ist der Gegenentwurf zum derzeitig modernen Kenner, dem Informierten (allgegenwärtiges Google-„Wissen“), und social-community-Versierten (facebook etc.), sowie sich world wide Präsentierenden (fb und youtube). Und die Schilderung dieses menschgewordenen Updates, verlinkt und damit gefangen in seinen Netzwerken, ist frappierend und zwar gerade deswegen, weil dies nicht analytisch statistisch passiert sondern sprachlich und metaphorisch.

Der Text ist eine Wohltat, Balsam, was die Zeichen und das Gezeichnetsein angeht, er wird heikel, wo er zeichnet, also Gegenentwürfe andeutet. Dass die bei Botho Strauß schon mal ins Reaktionäre/Rechte tendieren können, ist leider nichts Neues. „Wir drängen den neben uns wohnenden Muslimen unentwegt unsere Freiheiten auf, denken aber nicht daran, auch nur das geringste von ihrer sittlichen Freiheitsbeschränkung nachahmenswert zu finden (…) Dabei täte etwas mehr Familie, etwas väterliche Stärke einem Erziehungsverhalten gut, dessen Schwächen allenthalben von staatlich geförderten Hilfen kostspielig kompensiert wird.“ Zum einen dürfte bekannt sein, warum sich unsere Familienstrukturen in den letzten Jahrzehnten verändert haben, bessere Bildung, größerer Leistungsdruck, mehr Mobilität, zum anderen sehen wir, wie sich auch die muslimischen Freiheitsbeschränkungen zunehmend auflösen. Daran werden weder Mursi noch irgendwelche Brüder etwas ändern können.

Strauß wittert (mit Sarrazin) den „Willen zum Aussterben“ … im „Profanen unseres Bevölkerungsschwunds“. Er wettert gegen diejenigen, „die mit Windkraft moralische und unmoralische Geschäfte machen“, er möchte „jeden einzelnen auf ein Rotorblatt gefesselt und bis zum Jüngsten Tag im Höllensturm sich drehen“ sehen.

Naheliegend auch, dass sich Strauß über weite Strecken mit Literatur und Kunst befasst. Diese Einlassungen sind durchweg kritisch: „An einem Pfingsttag, wenn Heerscharen von kleinen Maniaks den Wahn feiern und zugleich unzählige Exzentriker der Kunst sich begeistert fühlen, erleiden die, die’s wirklich trifft, de-mentia, Entgeisterung.“ - „Inzwischen paktiert auch die Kunst liebedienerisch mit Quote und breitem Publikum.“ – „Die Künste, die den Müll der Welt zu spiegeln vorgeben, vermehren ihn nur. Den Kunstbegriff gilt es auf Brennpunktgröße zu verengen.“ – „Satt und trunken von visuellen Gelagen, die Kunst und Filme veranstalten, konnte man die Hölle an jeden beliebigen Ort auf Erden verlagern.“ – „Man erfreut sich auch eines Kunstwerks, das nichts als die Verzweiflung des Künstlers ausdrückt. Es hat jedoch, eben als Kunstwerk, ein schönes Gesicht.“ – „Aber die Kunst besteht darin, etwas undurchsichtig zu machen mit klaren Worten!“

Literatur lebt von Verweisen, vom „Zitieren (heute: Sampling)“ und „Pastiche (heute: Remix) aus längst geschriebenen Büchern …“ Was Strauß hier macht, grenzt aber an name dropping: Flaubert, Gombrowicz, Swift, Young, Bouvart, Pécuchet, Milton, Da Vinci, Dostojewski (wie könnte der in dem Zusammenhang fehlen!), Benn, Else Lasker-Schüler, Borchardt, Humboldt, Jung, Däubler, Shakespeare, Valéry allein auf den ersten 40 von 175 Seiten. Wer kann da noch auf Relevanz und Validität gegenlesen?

Fazit: Es liegt in der Natur des Idioten als der Nichtkenner, der Private und die Einzelperson, dass er eben nicht öffentlich ist (schon gar nicht wirksam); man wird ihn nicht finden in den Medien, in der breiten Öffentlichkeit, er wird keinen neuen Trend setzen, keine followers haben und auch keine likes sammeln, aber umgekehrt aus seinem öffentlich-nicht-in-Erscheinung-treten auf sein Nichtvorhandensein zuschließen, wäre töricht, nein, einfach nur falsch. Strauß‘ Text ist nicht ohne Widersprüche, aber er lohnt die Mühe den Widerspruch zu denken.


Gregor Weber: Keine Vergebung, Kriminalroman 255 Seiten

Und um die geht es einem der Beteiligten, wie man am Ende erfährt, denn er „War einer von ihnen geworden und hatte es gerade so geschafft, nicht völlig zu vergessen, wer er eigentlich war und für wen er arbeitete. Dass er sie alle kriegen wollte. Zur Strecke bringen für den Staat. Und dann hatte der Staat einfach alles abgeblasen. Weil kein Schwein mehr wusste, wer eigentlich noch wirklich die Flamme der Weltrevolution am Brennen hielt und wer nur vom Dienst dafür bezahlt wurde, in die Asche zu blasen.“

In diesem Roman gibt es nicht einfach nur die Guten und die Bösen und vielleicht noch ein paar Opfer oder unbeteiligte Randfiguren, hier gibt es eine zumindest am Anfang nicht überschaubare Anzahl von Mitspielern: „Das Bild verschwamm und schlierte, aber das Spiel wurde von zu vielen Spielern mit zu viel Ernst und Verbissenheit gespielt, als dass es aufzuhalten gewesen wäre.“ Also: die Polizei, die verschiedenen „Dienste“ (BND, MAD …) mit Undercover-Agenten, Drogen- und Waffenhändler, Rocker, Neo-Nazis. Spätestens seit NSU wissen wir, dass auch in der Realität die Verstrickungen so vielfältig und kaum noch zu durchschauen sind. Dazu kommt bei einzelnen Figuren eine Vorgeschichte, die bis in die RAF- und Nazizeit zurückreicht. Das ist eine Menge Stoff und erzählerisch nur schwer zu bändigen.

Gregor Weber versucht es mit filmisch kurzen Szenen (manchmal nur ein paar Zeilen jeweils), die aber nicht einfach auktorial erzählt werden, sondern immer aus der Perspektive eines der Beteiligten. Die Szenen machen gleich am Anfang klar, wo wir sind und wessen Perspektive wir teilen: „Bernie sah durch die Scheibe.“ - „Evelyn Glaubke sah starr aus dem Wohnzimmerfenster in den Garten.“ - „In einem Zimmer in Köln saß ein Mann auf einem Bett und starrte aus dem Fenster.“ - „Sie hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt, schaute zur Decke des Hotelzimmers.“ - „Merten saß im Sozialklub Müller und trank ein kaltes Budweiser.“ - „Ein schwerer BMW rollte leise durchs Bahnhofsviertel.“ Mitten im Roman gibt es einen Banküberfall, an dem die Bankräuber und die ermittelnden Beamten auch diejenigen sind, die schon die ganze Zeit im Roman agieren, dennoch wird allein für diese Sequenz eine Figur eingeführt, aus deren Perspektive das Geschehen erzählt wird: „Isabell Bender war sechsunddreißig Jahre alt. Sie war seit zwölf Jahren verheiratet, ihre Tochter Lara hatte vor einer Woche ihren zehnten Geburtstag gefeiert.“ Das bedeutet, wir bekommen von einer großen Vielzahl von Figuren, auch wenn sie noch so marginal sind, eine Vor- und Familiengeschichte geliefert. Dass diese eher skizzenhaft und oberflächlich ausfallen, kann nicht überraschen.

Ein sehr verlässliches Mittel, Spannung zu erzeugen, ist Identifikation, das Mitfiebern des Lesers, der Zuschauerin mit einer Hauptfigur; das ist bei dieser Vielzahl von kurzen Szenen und Akteuren natürlich nicht möglich. Erst gegen Ende des Romans, wenn sich die Schauplätze mit ihren Akteuren (und den jeweiligen Erzählperspektiven) lichten, es nur noch um zwei, drei Handlungsstränge geht, kommt der Krimi richtig in Fahrt, wird es wirklich spannend.
Jemand, der sich anschickt, letztlich einen so großen Bogen über die Geschichte der Bundesrepublik mit Nazi- und RAF-Zeit zu spannen, kann das nur plakativ bewältigen: „Das Lager im Jemen war der reinste Kindergarten gewesen, aber einer voller Kinder mit bipolarer Störung. Die Palästinenser hatten ständig rumgebrüllt und sich aufgeführt, als hätten sie den Guerillakrieg erfunden. Die Deutschen fuhren total drauf ab, fühlten sich wie in einer Kommandoausbildung.“

Dem Schauspieler und ehemaligen Tatort-Kommissar Weber ist ein guter Krimi gelungen mit manchmal sehr überzeugenden Passagen: „Legte den Mantel aus Eis an. Senkte seinen Herzschlag. Ließ sein Blut gefrieren. Wartete.“- „Wer bist du? Wer bist du wirklich? Einfach nur ein Passant? Oder ein Verbrecher? Ein Terrorist? Ein Agent?“ Bei manchen Metaphern bin ich mir nicht sicher, ob sie gelungen oder nur schräg sind: „Aber er sah immer noch aus wie der Tod auf Urlaub.“ - „Ihr Fluch war, durch ein Meer aus schwarzen Tüchern zu segeln und Kummer und Gram in der Welt zu verbreiten.“ Es wird auch ziemlich oft Kaffee getrunken und gekotzt; was im Film nur nebenbei wahrgenommen wird, bekommt in einem Text eine ganz andere Gewichtung und nervt schneller.

Fazit: Wenn Weber den Anfang ähnlich stringent gestaltet hätte, wie den Schluss, „Keine Vergebung“ wäre ein brutal guter Krimi.


Stefan Gärtner: Angéla – Lehrjahre einer Liebeshungrigen (Roman, 224 Seiten)

Im Untertitel „Ein erotisch-historischer Schelminnenroman“; Aufmachung und Titel (mit dem Bild von Angela Merkel in einer Brosche auf dem Umschlag) sind mehr als eine Anspielung auf „Memoirs of a Woman of Pleasure“ von John Cleland, auch bekannt als „Fanny Hill“; Angéla  wird anhand dieses Romans in Englisch unterrichtet. Es gibt eine ganze Reihe Romane dieser Kategorie, so auch  „Josefine Mutzenbacher. Die Geschichte einer Wienerischen Dirne. Von ihr selbst erzählt.“Es geht um Angéla, Tochter des Marquis de Fromageur, im Lande Transelbanien  (DDR) zur Zeit des König Erik (Erich Honecker), der wiederum von Zar Leonid (Breschnew) abhängt.  Im Westen lauert Elmût der Dicke (Helmut Kohl). Der Schelminnenroman spielt also zur Zeit der Wiedervereinigung und des Aufstiegs Angela Merkels. Polit-Satire funktioniert in erster Linie über die Veralberung von Polit- und anderer Prominenz. Als da wären (eine Auswahl): Monsieur Hommedebière (Wolf Biermann), Joschka Fischer alias Pêcheur, der will, „dass nicht immer alle in den Wald pinkeln oder so, hat aber diesen Unsinn längst wieder vergessen, er vergisst nämlich schnell, der Gute, manche sagen, er habe sich früher mit der Gendarmerie geprügelt.“ Gérard Petit (Gerhard Schröder): „Man sagt, Petit habe gestern betrunken am Tor des Palastes gerüttelt und geschrien ‚Ich will da rein!‘“ Rodolphe Hinault (Rudolf Scharping), der „eine Einmann-Kutsche ohne Pferd und Dach oder einen halben Leiterwagen ohne Boden“  entwickelt haben soll und mit ihr „durch Frankreich fahren“ will. Anspielung auf die Tatsache, dass Scharping gerne Rad fährt und heute Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer ist, sowie die Tour de France. Ach ja, eine Troika tritt auch auf: „Zwei Steine und ein Klops“, alias „… Monsieur Boulette das dicke Kind Gabriel …“ Man merkt schon, so richtig bissig ist die Satire nicht, abgesehen davon, dass viele jüngere Leser ohne historische Kenntnisse die eine oder andere Anspielung gar nicht mehr mitbekommen. Noch ein Beispiel:  „Alles, was Berthe wusste, war, dass es am dortigen Königshof sehr munter zuging und dass die Schwiegertochter des Königs das Zeitliche gesegnet hatte, als sie mit ihrer Kutsche gegen einen Baum gefahren war, und in der Kutsche hatte ihr Liebhaber gesessen, ein Orientale mit angeblich 3000 Frauen, und der war ebenfalls gestorben, und der Hofnarr, von dem es hieß, er sei Sodomit, hatte bei der Beerdigung ein Lied über Blumen singen dürfen.“ Ja, Lady Di, ihr Unfall in Paris und Elton Johns „Candle in the Wind“ werden hier aufs Korn genommen.Wer Erotisches im Sinne der eingangs genannten Romane erwartet, wird noch mehr enttäuscht, Angélas Dekolleté wird häufiger ins Spiel gebracht, ansonsten gibt es auf den ersten 100 Seiten etwa das: „Ab jetzt wären dreimal wöchentlich Minimum, einmal davon à la française, aktiv und passiv, und wenn er sich weigerte, dann ließe sie sich im Dorf herumreichen, er würde schon sehen.“ Gegen Ende des Romans kommt es zu einer gewissermaßen stofflichen Vereinigung mit Joaquín de la Rotz, der „schien in eine vermooste Höhle geraten zu sein, die ein blindes Pelzmonster gegen ihn verteidigte.“ Und à la française klingt dann so: „…ein Tier, das Pflanzensaft aus einem Stängel trinkt.“

Fazit, der Roman ist durchaus unterhaltsam, die Satire jedoch ziemlich zahnlos und die Erotik absolut knisterfrei.

Nachbemerkung: Sex sells. Mag sein, aber wenn nur Sex (d.h. die Worte "Liebeshungrige" und "erotisch") drauf steht und nix drin ist, wird das der Leser (und die Leserin) sehr bald merken. Man dürfte in diesem Roman wenigstens ein paar parodistische oder satirische Ausflüge in das Milieu erwarten. Ich schätze, die Marktstrategen haben mal wieder ein Wörtchen mitzureden gehabt, wie das Produkt aussehen soll, damit es sich besser verkauft. Meistens, und in diesem Falle ist es so, kommt dabei nur eine Mogelpackung heraus.

© by Klaus-Dieter Regenbrecht, Koblenz 2013

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