Besprechungen und Kommentierungen:
          Ernst Augustin: Robinsons blaues Haus (Roman)
          Fangen wir mal mit der Geschichte, also der Handlung an. Ein  Mann reist durch die Welt und lebt offensichtlich von geerbtem Geld und den  Gewinnen, die er an der Börse und per Internet erzielt. Manchmal wohnt er in  luxuriösen Hotels, öfter aber in Immobilien, die er in Bahnnähe anmietet und  die eher als gruftig zu bezeichnen sind. Seine Reisen haben aber durchaus etwas  von Fluchten, denn es kommt immer wieder zu Überfällen. Schon sein Vater, der auch mit illegalen Geldgeschäften  zu tun hatte, wurde Opfer mehrerer Überfälle. Eine Zeitlang leben Vater und  Sohn nach dem Tod der Mutter in Luxemburg wegen der Geldgeschäfte.
           Der Roman entwickelt sich auf drei Ebenen, auf einer Jetzt-Ebene, in  Rückblenden und auf einer Meta-Ebene, die sich häufig mit literarischen Motiven  vermischt. Das gilt nicht nur für den Roman „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe.  So kommuniziert der Ich-Erzähler im Chatroom mit einem „Freitag“. Der ganze  Roman ist eher kurz, knapp 50.000 Wörter (grob überschlagen), aber durch das  Format und die große (lesefreundliche) Schrift auf 300 Seiten gebracht worden. Bei  der für mich sehr klaren und sauber durchgehaltenen Erzählstruktur verwundern  mich einige Rezensionen und Kommentare, die den Roman für ein phantastisches,  schwer einzuordnendes literarisches Gebilde halten. Ich denke, das rührt von  Augustins ebenso präzise durchgehaltener Erzählweise her. „Tell or show“,  erzählen oder zeigen, und Augustin hat sich für das Zeigen entschieden. Er  erzählt nicht, und erläutert erst recht nicht, was er erlebt, sondern zeigt,  wie er die Dinge sieht, hört und erlebt.
           Fazit: Mein erster Roman von Augustin ist ein wirkliches Lesevergnügen und wird  nicht der letzte bleiben. Und das gerade wegen der erzählerischen  Gradlinigkeit, des überaus sauberen schriftstellerischen Handwerks.
          
          That's Why God Made Brian Wilson
          That's Why God Made the Radio ist nicht Pet Sounds und ist auch nicht   SMiLE, aber, so empfinde ich es, die neue CD der Beach Boys geht darüber   hinaus.  Abgesehen davon, dass man Musik einfach nur genießen kann,   wird man Kunstwerken, und das ist die Musik von Brian Wilson, nur   gerecht, wenn man sie in dem jeweiligen historischen Kontext sieht. Pet   Sounds wäre nicht Pet Sounds ohne die Umstände, unter denen Brian   Wilson, gerade mal Mitte Zwanzig, Mitte der Sechziger Jahre, nur zwei   Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, dieses für die Geschichte der   Pop-Musik so bahnbrechende Werk schuf. SMiLE war in dem zu der Zeit   gegebenen Kontext offensichtlich überhaupt nicht möglich, sondern konnte   von Brian erst 2004 vollendet werden. Es war dann, in einer veränderten   Zeit von einem über sechzigjährigen Brian etwas ganz Anderes, als es in   den Sechzigern hätte werden können/sollen, aber es ist und bleibt   SMiLE.
           Brian, der sich gewissermaßen schon vor seinen Brüdern Dennis   (1983) und Carl (1998) aus dem Leben verabschiedet hatte, stand wieder   auf, trat live auf, präsentierte Pet Sounds und SMiLE, schuf neue Werke   wie That Lucky Old Sun, coverte Songs von Gershwin und aus   Disney-Filmen. Was fehlte, war ein Album mit den Beach Boys. Und das ist   nun da!
           That's Why God Made the Radio, der Titel ist vielsagend mit   seinen Anspielungen auf so großartige Titel wie God Only Knows oder Good   Vibrations, die seinerzeit aus dem Radio klangen, den Beach Boys    Erfolg und Fun, Fun, Fun brachten. Das Radio hat heute einen ganz   anderen Stellenwert, aber es ist immer noch da und auch im Internet.
           Wer   die Musik von Brian und den Boys mochte und mag, wird auf seine Kosten   kommen, in erster Linie wegen des Gesangs und der Harmonien. Aber auch   die Produktion und die Kompositionen sind auf der Höhe der Zeit. Es sind   schwächere Titel dabei wie Daybreak Over the Ocean, aber insgesamt ist   es eine  gelungene Zusammenstellung mit durchaus überraschenden Titeln   wie Isn't It Time und dem grandiosen Abschluss des letzten Songs   Summer''s Gone. Aber Gott sei Dank nicht ohne dass die Beach Boys ihn   musikalisch verabschiedet haben: Ein krönender Ausklang des eben doch   nicht endlosen Sommers.
          P.S. Die ersten Kritiken sind da und fast könnte man glauben, die Zeit sei tatsächlich stehen geblieben. Man liest die immer gleichen Geschichten über Drogen und Wahnsinn, das immer gleiche Gejammere über banale Texte. Gleichzeitig erfolgt  standardmäßig der Vergleich zu Klassikern wie Pet Sounds oder SMiLE, die beide tatsächlich sogar textlich auf der Höhe der Zeit waren. Nothing new under the sun. Aber mal ehrlich, sind denn alle Opern wegen ihrer Texte relevant oder gibt es da nicht auch ein paar, die sehr schöne Musik mit ziemlich banalen Texten kombinieren? Für mich persönlich gilt, dass die Beach Boys das Telefonbuch runtersingen könnten oder Kochrezepte (vgl. Vegatables auf SMiLE), es klingt wunderschön, wenn es gut gemacht ist. 
          Der einzig neue Vorwurf ist, dass die Jungs alt geworden sind, aber um das festzustellen, muss man sich nicht allzu viel Mühe machen. Ich bin seit fast fünfzig Jahren Fan der Beach Boys und von Brian Wilson und jedes neue Album muss ich mindestens fünfmal hören, bis ich langsam damit vertraut bin, bis ich ein Gefühl dafür  bekomme, ob die Musik etwas taugt oder nicht. Diese Mühe, diese Muse hat offensichtlich heute kein Kritiker mehr, denn - Geschmack hin oder her - diese neue CD ist gut, streckenweise sogar sehr gut, auf jeden Fall viel besser als irgendjemand erwarten konnte und der letzte Titel Summer's Gone ist wie In My Room (1963), I Just Wasn't Made For These Times (1966) oder Til I Die (1971) ein großartiges und absolut authentisches Statement eines Brian Wilson in seinem jeweiligen Kontext.
          
          April 2012: Generation  Laminat - Mit uns beginnt der Abstieg
            von Kathrin Fischer
           Wer  gehört zur Generation Laminat?
            Die etwa  in den 60ern des letzten Jahrhunderts Geborenen, also diejenigen, die man mit  Vierzig/plus bezeichnen könnte.
            Warum Generation Laminat?
            Nun, weil sie sich das echte Parkett der Eltern nicht mehr  leisten können. Es geht also um eine verschärfte soziale Situation gegenüber  der Elterngeneration, um eine soziale Unsicherheit, die sich, trotz  akademischer Ausbildung, in schwierigen Berufswegen und prekärem Erwerbsleben manifestiert.
           Die  Autorin Kathrin Fischer, geboren 1967, ist ein typisches Beispiel. Sie hat  Philosophie studiert, Literaturwissenschaften und Russisch, war Redakteurin, ist  Alleinerziehende und heute Öffentlichkeitsreferentin der Uni Flensburg, was  nicht nur sie selbst als Glückstreffer empfindet, weil sie damit gewissermaßen  dem Prekariat entkommt. Sie geht also von der eigenen Befindlichkeit, den  eigenen Erfahrungen aus, führt exemplarisch auch an Bekannten und Freunden die  Probleme ihrer Generation auf und fragt, wie geht es uns denn de facto und wie ist  es dazu gekommen?
           Und  hier wird das Buch wirklich interessant, denn was die Autorin herausfindet,  betrifft nicht nur ihre Generation sondern eigentlich alle Generationen nach  dem Zweiten Weltkrieg. Das diffuse Gefühl der Unsicherheit, der Entmündigung  hat sehr konkrete Ursachen in der politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen  Entwicklung. Und dafür zitiert sie aus einer ganzen Reihe von Quellen. Beispiel  Steuergerechtigkeit: „Darin vergleichen sie unter anderem die Steuerlast von  Klaus B. aus Königstein im Taunus mit der der beiden Arbeitnehmer Dagmar und Jürgen  D., die drei gemeinsame Söhne haben. Klaus B. ist Millionär und lebt von seinem  Vermögen, das er auf fünf Millionen Euro schätzt. Es ist nicht schwer zu  erraten, wer weniger Steuern zahlt. Klaus B.s letzter Jahressteuerbescheid betrug  nur 2300 Euro. Dagmar und Jürgen D. zahlen im Jahr 16000 Euro Steuern …“ (S.  159f.)
          Kathrin  Fischers Feststellung, dass immer weniger immer mehr und immer mehr immer  weniger haben, mag nicht neu sein, aber sie wird, wie erwähnt, zum einen an  persönlicher Erfahrung und zum anderen an peniblem Quellenstudium  nachvollziehbar gemacht. Sie zeigt auch, dass sich die Besitzverhältnisse in  Deutschland seit mehr als einhundert Jahren nicht wirklich verändert haben. Bei  Null anfangen mussten immer nur die Vielen, die ohnehin nicht viel hatten. Das  Beklemmende ist, auch das zeigt dieses Buch deutlich auf, dass das  Auseinanderklaffen der sozialen Schere, Stichwort Globalisation und Occupy  Bewegung, weder auf die Generation  Laminat, noch auf die Bundesrepublik, noch die EU begrenzt ist. Da könnte  sich tatsächlich ein weltweites Revolutionspotential zusammenbrauen.
          
           März 2012           
          Der Kulturinfarkt – Von allem zu viel und überall das Gleiche
            Knaus, 
            München 2012
          
          Kulturförderung bedeutet, Menschen den Genuss von  kulturellen Darbietungen mit öffentlichen Geldern von Bund, Ländern und  Kommunen preisgünstiger zu ermöglichen, als es möglich wäre, wenn die  Dienstleistung der Kulturproduzenten unter den Bedingungen des freien Marktes  erkauft werden müsste. Damit steht der Kulturbetrieb keineswegs alleine da,  denken wir nur an die Landwirtschaft. Anders aber als bei der subventionierten  Landwirtschaft, bei der sowohl die Verbraucher, Konsumenten, als auch die  Produzenten, Landwirte, profitieren, verhält es sich bei der Kultursubvention  ganz anders (könnte aber auch sein, dass ich von der Agrarsubvention zu wenig  verstehe). Und das liegt daran, dass die Produzenten im Kulturbetrieb nicht so  eindeutig festzumachen sind wie in der Landwirtschaft, denn es geht nicht nur  um Groß und Klein. Nicht jeder Kulturschaffende ist Künstler, und bei den Künstlern muss  meiner Meinung nach zwischen produzierenden Künstlern, Autoren, Komponisten  beispielsweise, und reproduzierenden, Schauspielern, Musikern, unterschieden werden. Produzierende Künstler schaffen in jedem Fall, reproduzierende nur von Fall zu Fall urheberrechtlich geschützte Werke (z.B. Tonträger). Unterschieden werden  muss schon allein aus dem Grund, weil der Kulturbetrieb diese beiden  Künstlergruppen ganz gravierend unterschiedlich behandelt.
           Es gibt eine Hierarchie in der Subvention. Das meiste Geld  erhält der Kulturgenießende, der Zuschauer, was politisch ja gewollt ist.  Danach folgen die reproduzierenden Künstler, ohne die kein Kulturgenuss möglich  wäre. Praktisch kein Geld aus der Subvention erhalten die produzierenden  Künstler. Ein Beispiel: Die ohne Subvention nicht mehr existenten Stadt- oder  Landestheater geben das meiste Geld dafür aus, dass die Bürger ins Theater  kommen. Das heißt, der Zuschauer, Konsument, wird am stärksten subventioniert,  weil er dafür, dass er ins Theater geht, mehr Geld bekommt als er selbst  ausgibt; lässt man mal außen vor, dass er als Steuerzahler auch seinen  Theaterbesuch subventioniert. Dann  folgen die Beschäftigten im Theater, oftmals als reproduzierende Künstler  Angestellte der Stadt oder des Landes. Die einzigen, die bei der Subvention  außen vor bleiben, sind die Autoren. Die nämlich bekommen ihre Tantiemen  anteilig zu dem Erlös aus dem Kartenverkauf. Jeder einigermaßen Gebildete weiß,  dass die zeitgenössischen Stücke nicht notwendigerweise die mit den höchsten  Zuschauerzahlen sind und dass Theater selbst diese Tantiemenzahlung umgehen,  indem sie überwiegend gemeinfreie Stücke, die Klassiker halt, inszenieren.
           Kommen wir – endlich! – zum Buch Der Kulturinfarkt von Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel  und Stephan Opitz. Man könnte sie, je nach Standpunkt, als Nestbeschmutzer  beschimpfen oder als Kenner der Szene, deren Urteil man vertrauen kann. Ich  sage, sie sind Kenner, aber sie sind als solche überhaupt nicht frei von  Betriebsblindheit. Die Erkenntnis: „Derzeit fördern wir Lobby und Institutionen  – nicht die Kunst“ ist absolut richtig, genau   so richtig wie der Untertitel „Von allem zu viel und überall das  Gleiche“. Dieser Kulturzirkus hat mitsamt der sogenannten freien Szene,  teilsubventioniert, die Penetranz des Talk-Show-Pallavers angenommen, bei dem  permanent die gleichen Gesichter das gleiche Zeug absondern. Es muss eine Art  Reiz in dieser Form von ritualisierter Spiegelfechterei liegen, der sich mir  nicht erschließen will. Ich vermute, es vermittelt eine gewisse Sicherheit, wenn  wir, egal was passiert, mit den immer gleichen Floskeln beruhigt werden können.
           "Man muss nur die Begriffe und die Interessen klar auseinanderhalten. Reden wir von Kunst, Kultur, von Wirtschaft, von Migration, von Glück 1 oder von Glück 2?" (Der Kulturinfarkt, S. 132). Genau darin liegt für mich das Problem des Buches, dass die Autoren die  Begriffe Kunst und Kultur nämlich nicht eindeutig gegen einander abgrenzen. Die Verwendung  der Begriffe von Kunst und Kultur, da sie an keiner Stelle definiert werden,  changiert von fast synonym bis fast antonym. Kunst ist, was Künstler schaffen,  so meine These, und zwar vor aller Förderung, Vermittlung, Vermarktung. Im Kapitel "Alles ist Kunst und jeder Mensch ein Künstler" (S. 123 ff.) werden außerdem noch Kreative, Amateure und künstlerisch Aktive einbezogen. Es werden jede Menge Statistiken zitiert, um beipsielweise zu belegen, wie sehr die Zahl der Künstler zugenommen hat. Ob und wie viele Travestiekünstler, Feuerschlucker, Alleinunterhalter oder Tänzerinnen dabei sind, das fände man nur heraus, wenn man genau hinschaute. Da die Autoren des Kulturinfarkts aus dem Kulturbetrieb kommen,  kennen sie (fast) nur die Kunst, die im Kulturbetrieb vorkommt. Kunst und Kulturbetrieb  schließen einander nicht aus, nein, sie mögen einander sogar in Bereichen bedingen,  aber sie sind und bleiben zwei sehr unterschiedliche Phänomene; und ich  behaupte, die Kunst ist das, was bleibt und immer wieder kommt, der  Kulturbetrieb das, was kam und gehen wird. Das immerhin konstatieren auch die Autoren. Ergänzt sei, dass die Kultur nicht notwendigerweise einen  Infarkt erleiden wird, wenn der Kulturbetrieb krankt, weil Kultur nicht nur da lebt.
           „Der Anteil nicht-westlicher Kunst an den subventionierten  Programmen ist lächerlich“ (S. 39) bedarf deshalb  der Ergänzung: Die Teilhabe produzierender  Künstler an den subventionierten Programmen ist praktisch nicht vorhanden.
           Deswegen wage ich die These, das Buch mag den Kulturbetrieb  in Unruhe versetzen und zusammen mit den unumgänglich scheinenden Kürzungen in  gewissem Umfang auch reformieren, aber es wird nichts an der Situation der  produzierenden Künstler ändern.
           Die Situation produzierender Künstler wäre relativ einfach  zu verbessern, Stichwort Goethegroschen. Das meint, dass die Nutzung der Kunstwerke,  die nicht mehr urheberrechtlich geschützt sind, mit einem geringen Obulus zu  verbinden wäre. Man könnte an einen halben Cent für einen Van Gogh in den  unzähligen Kalenderabbildungen denken, um nur ein Beispiel zu nennen. Mit diesem  Geld könnte sich die Kunst selbst finanzieren. Ein Generationenvertrag der  besonderen Art: die Werke der verstorbenen Künstler unterstützen die Arbeit der  lebenden. Aber das ist politisch nicht durchzusetzen und wird immer weniger durchzusetzen  sein, man möge sich nur die aktuelle Diskussion um ACTA anschauen. Und deswegen  hat das Buch Der Kulturinfarkt auch  sehr viel mit der Entwicklung des Internets zu tun. Das nämlich geht über das  Anspruchsdenken des konventionellen Kulturbürgers hinaus und beansprucht  prinzipiell, alles umsonst zur Verfügung zu haben.
           Dieter Haselbach, Armin Klein, Pius Knüsel, Stephan Opitz:
              Der Kulturinfarkt – Von allem zu viel und überall das Gleiche, München 2012
          © by Klaus-Dieter Regenbrecht, Koblenz im März 2012          
          
          Februar
            2012           
          Thea Dorn, Richard Wagner: Die deutsche Seele, München 2011
           Warum nicht „Das deutsche Gemüt“, „Die deutsche Identität“  oder einfach „Die Deutschen“? Ist die Seele schon etwas spezifisch Deutsches?  Die Seele, dasjenige, das über den Tod hinaus und überhaupt jenseits allen  Sichtbaren existiert?
           Und kann man ein solches auf das jenseitig Unsichtbare  gerichtete Unterfangen alphabetisch penibel mit Phänomenen wie Eisenbahn,  Fußball, Schrebergarten, Strandkorb oder Wurst fassen? Thea Dorn und Richard  Wagner versuchen es.
           Dass bei ihrer phänomenologischen Pirsch das Alphabet nur  eine Möglichkeit der Orientierung ist, machen sie deutlich, indem sie nach  jedem Aufsatz Möglichkeiten einer inhaltlichen und thematischen Reihenfolge bei  der Lektüre aufzeigen, dem Leser zeigen, dass er das Buch auch in einer ganz  anderen Reihenfolge lesen kann.  Aber es  offenbart einen ganz besonderen Reiz, wenn auf Kapitel wie „Buchdruck“ eines  mit dem Titel „Dauerwelle“ folgt, auf „Strandkorb“ „Das Unheimliche“ und „Vater  Rhein“, oder „Wurst“ zwischen „Winnetou“ und „Zerrissenheit“ zu finden ist.  Allein die Kapitelüberschriften zeigen etwas von der Widersprüchlichkeit, die  wahrscheinlich nicht nur dem deutschen Wesen zugrunde liegt. Jedes einzelne  Phänomen mag also durchaus auch in anderen Seelen vorkommen, in der American  Soul oder l'âme française, aber die Mischung machts.
           Es kann kaum verwundern, wenn es in den Kapiteln ganz viel  um Literatur geht, um das neunzehnte Jahrhundert und die Romantik. Phänomene,  in denen sich der Wunsch der Deutsche zur Einheit wohl am deutlichsten  manifestiert (vgl. auch Kleinstaaterei, Vater Rhein). Dorn und Wagner haben  keinen kritischen Abriss über den Deutschen und seine Verfehlungen in der  Geschichte, kein Herunterleiern alter Klischees abgeliefert, sondern einen  selbst schon literarischen Versuch unternommen, etwas so Flüchtiges und dennoch  mit so großer Bedeutung aufgeladenes   Phänomen wie die Seele zu erhellen. Und das gelingt ihnen mit viel Witz,  großem Unterhaltungswert und reich bebildert.
          
          The Beach Boys SMiLE Sessions (Nov 2011) 
          Die fast unendlich lange Geschichte des Lächelns hat ein glückliches Ende gefunden  - wie könnte es anders sein? Nach Pet Sounds, von vielen Fachleuten als ein bahnbrechendes Stück Musikgeschichte eingestuft, wollte Brian Wilson mit seiner "teenage symphony to God" noch einen Schritt weiter gehen. Er schaffte es aber nicht. Streitereien innerhalb der Band, Drogen und vieles andere sorgten dafür, dass das Projekt abgebrochen wurde und in die Archive wanderte. Meines Erachtens scheiterte Brian vor allem daran, dass  das, was er vorhatte, zum einen technisch zu jener Zeit (1966/67) nicht möglich war, seine modularen Schnipsel elektronisch zusammenszusetzen, und zum anderen fand er künstlerisch kein Ende.