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Alle Rechte vorbehalten © All rights reserved by Klaus-Dieter Regenbrecht 1998 - 20
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Auszug aus dem Kapitel
Bonn 1975 – 1979
Teil 1: Theater
(aus dem Roman "Im Goldpfad 10")

Die Kammerspiele waren nach dem Krieg zunächst als Kino genutzt worden, dann als Tourneetheater, was Boulevard und Komödie bedeutete; zur Zeit Walters brachten die Kammerspiele mit eigener Dramaturgin schon eigene Produktionen auf die Bühne. In den Jahren, in denen Walter hier jobbte, wurde die Zahl der Stücke, die er gesehen hatte, wenn auch nur selten aus dem Zuschauerraum, am Ende sicher dreistellig. Höhepunkt eines jeden Jahres waren die Berliner Theaterwochen im Mai. Sie waren eingerichtet worden, um die besondere Beziehung zwischen Bonn und Berlin zu unterstreichen.

Meistens waren die Stücke sehr aufwendige Produktionen, die fast ununterbrochene Anwesenheit im Theater erforderten, und man kam in den Genuss der neuen Stücke von Botho Strauß, Trilogie des Wiedersehens, Groß und klein, Kalldewey, Farce oder auch Paare, Passanten. Außer den Schauspielern reisten häufig auch die Bühnentechniker vom Halleschen Ufer mit an. Das Theater am Halleschen Ufer war so progressiv, dass alle an einer Produktion Beteiligten, also nicht nur Regisseur und Schauspieler, ein künstlerisches Mitsprachrecht hatten. Wenn Bonns Kultur schon üppig subventioniert wurde, so traf das auf Berlin erst recht zu.

Ein Höhepunkt war aber sicher auch die Anwesenheit hochkarätiger Autoren, Schauspieler und Regisseure, als beispielsweise Franz-Xaver Kroetz als Dramatiker und Schauspieler in Nicht Fisch, nicht Fleisch, Martin Walser, In Goethes Hand, und Thomas Langhoff zu einem gemeinsamen Pressegespräch in die Bar im Foyer der Kammerspiele baten. Walter, der Walser auch bei einer Lesung, Ein fliehendes Pferd, im Audimax der Uni vor mehreren hundert Zuhörern erlebt hatte, sah sich schon mit dabei und verfolgte das ganze Theater mit wachem Auge, weil er lernen wollte. Und tatsächlich hatte Walter ja angefangen, ein Theaterstück zu schreiben, das er sowohl Kroetz als auch Langhoff vorlegte. Während Kroetz, der in einem Wohnmobil auf dem Gelände der Kammerspiele campierte, Strom und Wasser für lau abzapfte, sich empört über die lackierte Kuh schon in der ersten Szene zeigte, kam von Langhoff Fundierteres. Er gab Walter Tipps, wo zu kürzen, wo pointierter zu dialogisieren war, „aber das ist auf jeden Fall spielbar.“ Zur Aufführung des Stücks sollte es jedoch nie kommen. In der überarbeiteten Version hatte Walter sich aber erlaubt, den Kroetzschen Terminus der lackierten Kuh zu übernehmen. An das Theaterstück hatte Walter nicht allzu große Hoffnungen geknüpft, er hatte einfach ausprobieren wollen, ob er das konnte, alles, was er sonst erzählerisch transportieren konnte, in Dialoge zu packen. Das Stück Grenzlichter verarbeitete seine Erfahrungen des vorausgegangenen Sommerjobs. Auf einem Rheinschiff hatte er als Bohrgehilfe fungiert, um zwischen Mainz und Bonn Bodenproben aus dem Flussbett zu nehmen.

Anhand dieser Gesteinsproben wollte man Aufschlüsse über Fließgeschwindigkeit, Strömungsverhalten und Ablagerungen des Rheins gewinnen. Im Anschluss daran hatte ihm der Chef der Brunnenbaufirma angeboten, eine Brunnenwache an Land zu übernehmen. Außerhalb eines Kaffs irgendwo an der Nahe. Wenn ein neuer Trinkwasserbrunnen gebohrt worden war, pumpte man einhundert Stunden lang, ohne Unterbrechung Tag und Nacht, Wasser ab, um die Ergiebigkeit des Brunnens abschätzen zu können. Der Vorgang musste technisch betreut und dokumentiert werden.

Walter hatte Marina gebeten, ihn übers Wochenende zu besuchen; sie war gekommen und sie hatten sich fürchterlich gestritten, weil es laut war, das Aggregat und die Pumpe fürchterlich nervten, und weil es dreckig war. „In dieser versifften Bude kannst du alleine schlafen!“ Walter hatte den Bauwagen ganz romantisch gefunden, mit Wiesenblumen geschmückt und Holz für ein schönes Lagerfeuer geholt. Das Stück zeigte die Orientierungslosigkeit, die Hilflosigkeit, den richtigen Weg zu finden. Grenzgänger auf der Suche nach dem Licht in der Hochzeit des Terrors der RAF.

Licht, das wusste Walter nun sehr wohl, war ein ganz entscheidendes Kriterium der Dramaturgie. Stimmung hießen die genau festgelegten Positionen, Farben, Schärfen und Helligkeitsstufen der jeweiligen Scheinwerferkombination. Eine gute Technik verfügte über mehrere Scheinwerferbatterien an verschiedenen Stellen im Theater. Zu Walters Zeit gab es noch keine Computer und die Stimmungen wurden akribisch notiert und die Scheinwerfer im Stellwerk mittels einer Walze aufs Stichwort und ihre jeweilige Einstellung gezogen. Natürlich kam es auch vor, dass Walter einen Verfolger bedienen musste, also einen Spot, der einen bestimmten Schauspieler auf der Bühne verfolgte. Stimmung war seit jener Zeit für Walter nicht mehr nur ein diffuses Gefühl sondern das kalkulierte und fein justierte Zusammenspiel einzelner Lichtquellen.

Walter war selbst einmal im Scheinwerferlicht, als er während der Proben zu Liliom den Engel machen durfte und mit weißen Flügeln fünf Meter über der Bühne schwebte. Während der Vorstellungen übernahm ein Statist die Rolle. Es gab Stücke, in denen die Bühnenarbeiter als Statisten fungierten und die Umbauten vor dem Publikum durchführten, was zusätzliches Geld einbrachte. Die Schauspieler und Schauspielerinnen waren jeder und jede für sich etwas individuell sehr Ungewöhnliches, gelegentlich auch nur gewöhnliche Hampelmänner, die besoffen von der Bühne fielen, Bühnenarbeiter ohrfeigten, weil die ihnen behilflich sein wollten, wenn die Schauspielerin aus dem hellen Scheinwerferlicht ins Dunkel der Seitenbühne stolperte. Fritz Lichtenhahn, Namensgeber für Hans Lichtenfritz in Walters Grenzlichter-Stück, bestand darauf, ein Handwaschbecken mit Wasseranschluss und Abfluss hinter die Dekoration gebaut zu bekommen, weil er sich die Hände waschen sollte. Er spielte zusammen mit Witta Pohl in dem Joyce-Stück Verbannte. Auf den Einwand: „Man kann Sie und das Waschbecken doch gar nicht sehen“, antwortete er entrüstet „aber ich weiß, dass keins da ist! Und ich kann so nicht spielen.“

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