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Neuerscheinungen bei Knaus * Herbst 2012

Kabelsalat: Wie ich einem kaputten Kabel folgte und das Innere des Internets entdeckte von Andrew Blum (aus dem Amerikanischen übersetzt von Richard Barth)

Zu Schrödingers Katze und Pawlows Hund gesellt sich nun das Eichhörnchen von Andrew Blum als Anstoß für einen Erkenntnisprozess und die Verkörperung eines Erkenntnisgewinns. Vielleicht könnte man noch Newtons Apfel als nicht-animalisches Naturprodukt dazu nehmen.

Gemeint ist damit, dass es häufig nur eines ganz banalen Vorgangs bedarf, um eine außergewöhnliche Einsicht zu gewinnen. Ganz so groß mag der Erkenntnisgewinn hier nicht sein, denn in diesem Fall ist es die Einsicht in die physikalische Körperhaftigkeit des Internets, die durch das Eichhörnchen initiiert wurde, indem es ein Kabel anfraß und den Autor dazu veranlasste, seinem angefressenen Kabel in die Tiefen des Internets zu folgen: „Wirft man einen Blick hinter die Kulissen, so sind die Netzwerke des Internets genauso eng an reale Orte gebunden wie es die Eisenbahn- und Telefonnetze seit jeher waren.“ (S.20)

Jeder, der sich nicht allein damit zufrieden geben will, dass das Internet immer verfügbar ist und einen mit jedem beliebigen Teilnehmer auf der ganzen Welt verbinden kann, sondern sich fragt, warum das wohl so ist, erhält hier Antwort.

„Die vernetzte Welt verspricht reibungslose Kommunikation – die Aufhebung des Raumes. Um die Karte in elektronischer Form nach Milwaukee zu übertragen, genügte es, eine E-Mail zu schicken. Aber die Karte selbst war keine JPEG- oder PDF-Datei und auch keine Google-Maps-Karte mit Zoomfunktion, sondern etwas Greifbares und Dauerhaftes – das auf synthetischem Papier der Firma Yupo gedruckt, jährlich aktualisiert, für 250 Dollar verkauft, in Pappröhren verpackt und in die ganze Welt verschickt wird. Die Karten zur physischen Infrastruktur des Internets von TeleGeography sind selbst Teil der physischen Welt.“ (S. 29)

Diese Karten hängen überall auf der Welt in den Zentren, in denen das Internet funktionstüchtig und am Leben erhalten wird. Diese Karten werden auf Druckmaschinen gedruckt, die aus dem Mutterland der schwarzen Kunst kommen: Deutschland!

Man möchte dieses Buch dringend allen anraten, die das Internet für etwas Abstraktes, für eine rein digitale Angelegenheit halten und in blanker Unkenntnis der tatsächlichen Gegebenheiten als paradiesisches Utopia (Nicht-Ort) ansehen, in dem unendliche Freiheit herrscht, Gleichheit und Glückseligkeit. Das Buch, eine Art Reisebericht, ist im Übrigen gut verständlich geschrieben und verzichtet auf allzu knifflige Technik-Details. Über eine der Hauptstädte des Internets, Palo Alto, heißt es: „Die Alchemie, die dort vor sich geht, geschieht nicht per Datenfernübertragung – und kann es wahrscheinlich auch gar nicht. Derart intensive Verbindungen sind ein unverschämt physischer Prozess“ (S. 87) - "(...) ein chemischer Prozess mit reichlich Bandbreite und Bier als Katalysator" heißt es auf Seite 142 in einem anderen Zusammenhang.

Man muss es leider festhalten: Der Original-Titel "Tubes: A Journey to the Centre of the Internet" ist wesentlich seriöser und beziehungsreicher: "Röhren: Eine Reise zum Mittelpunkt des Internets". Die Anspielung auf Jules Vernes "Reise zum Mittelpunkt der Erde" geht so leider verloren. Das ist nicht unerheblich, denn Blum zitiert aus einer Reihe von Büchern, u.a. aus Walter Benjamins "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" und Henry David Thoreaus "Walden. Ein Leben mit der Natur".

Fazit: Der PC und das Internet haben ohne Zweifel unser Leben verändert. Die Struktur dieser Veränderung jedoch folgt ganz konsequent schon lange genutzten Technikprinzipien und verläuft auf geradezu klassischen Verbindungswegen. Eins der Tiefseekabel durch den Atlantik heißt "Atlantic Crossing1" - "Atlantic Crossing" heißt auch eine LP von Rod Stewart von 1975, das nur nebenbei.

Betreutes Trinken von Katinka Buddenkotte (Roman)

Der Titel ist vielsagend: Hauptschauplatz der Handlung ist die Kneipe „Dead Horst“, in der zum einen merkwürdige Rockbands wie eine schwule finnische Saunaband Krach machen dürfen und zum anderen ein Stammpublikum sich in seinen skurrilen Rollen gefällt, sich ineinander verliebt, sich gegenseitig foppt, miteinander kickert und gegenseitig hilft, wenn Hilfe gebraucht wird. Der zweite Schauplatz ist der Arbeitsplatz der Ich-Erzählerin, der Jugendtreff „Anker“.

Der Titel und das Milieu legen es nahe: Wir sind in einem Genre gelandet, in dem Größen wie Eckhard Henscheid („Trilogie des laufenden Schwachsinns“) und Frank Schulz („Das Ouzo Orakel“) Großes geleistet haben, dem humorvollen, deutschen Roman. Den gibt es nämlich und jetzt auch von einer jungen Frau. Bravo!  Eine unbedingt empfehlenswerte, weil sehr unterhaltsame Lektüre.

Es ist kaum etwas schwerer als „leichte Kost“ so gekonnt und sprachlich gelungen hinzubekommen. Katinka Buddenkotte schafft es elegant und spielend zugleich.

Verdammte Deutsche von Gerhard Seyfried (Spionageroman)

Für einen Spionageroman ist das Buch in einer wenig spektakulären Sprache geschrieben und erst ziemlich am Ende gibt es mal eine Szene, die „action“ bringt. Aber der Roman ist ja fast so etwas wie ein historischer Bericht, denn die Personen und Ereignisse entsprechen mehr oder weniger der realen, historisch belegten Wirklichkeit. Und das macht dieses Buch sehr angenehm lesbar.

Der Klappentext: „Als der junge Marineoffizier Adrian Seiler im Sommer 1941 in London ankommt, ahnt er nicht, was ihm bevorsteht. Er weiß nicht, dass in England eine hysterische Angst vor »Schläfern«  und Spionen herrscht. Dass er deshalb von einem englischen Agenten überwacht wird. Dass er sich ernsthaft verlieben wird, ausgerechnet in Vivian, die Tochter des deutschstämmigen Buchhändlers Peterman. Dass er sich zu einem der ersten professionellen Spione umfunktionieren lassen wird und somit Vivian, deren Vater und sich selbst aufs Äußerste gefährdet.“


Aber Mutter weinet sehr von Wolfgang Brenner (Psychothriller)

Aus dem Klappentext: „Es ist der Alptraum aller Eltern: Der kleine Johann kommt eines Abends vom Spielen nicht nach Hause. Der Vater verständigt die Polizei, die Mutter fühlt sich wie gelähmt. Und hegt schon bald den Verdacht, dass das Leben ihres Jungen für die Polizei nicht oberste Priorität hat. Doch einer Mutter geht es um ihr Kind, eine Mutter tut alles, um es zurückzubekommen. Dafür trifft sie sich sogar heimlich mit dem Entführer. Ein fatales Katz-und-Maus-Spiel nimmt seinen Lauf.“

Damit ist der Plot recht genau beschrieben. Kindesentführung und –missbrauch, ein Thema, das zum einen unter die Haut geht, das zum anderen nicht gerade selten Gegenstand von Krimis, Film oder Buch, ist. Und da lauert die erste Gefahr. Will man für Spannung und das heißt ja überraschende Wendungen sorgen, darf man sich nicht allzu sehr um Wahrscheinlichkeiten und Plausibilität kümmern, die beide unweigerlich für Langweile sorgen würden. Es sei denn, man schafft es, über die Sprache Spannung zu erzeugen.

Ich habe den Roman zu Ende gelesen und fand den Plot richtig spannend, also voller überraschender (und damit nicht immer plausibler) Wendungen. Zum Psychothriller reicht es aber überhaupt nicht, denn die Sprache ist dürftig, wenn nicht arm. Der Roman spielt heute und die Mutter des Elfjährigen benutzt Internet und Handy, fühlt sich aber zweimal wie ein „Backfisch“. In die schmucklose Sprache mit überwiegend ganz kurzen Sätzen, wird dann plötzlich „gepisst“, gibt es im Kaufhaus „unaufdringliche Musiksoße“. Also, wenn ich mit Musiksoße übergossen werde, ist das für mich alles andere als unaufdringlich.

„Es war wie in einem Indianerdorf. Mitten in dem Waldsaum auf der Steilküste gab es Grillstellen, einen Gemeinschaftsplatz, ein kleines Fußballfeld, alles mit groben, geschälten Holzbalken umzäunt. Ein buntes Schild kündigte Veranstaltungen des Platzwarts an: Tauziehen, Gulasch aus der Kanone, ein Wurstfest“ (S. 280). Ein Indianerdorf mit Fußballfeld, Gulaschkanone und Wurstfest? Und wenn der Autor versucht, mit Bildern zu arbeiten, wird es auch nicht gerade erhebend: „Es nieselte. Der Himmel war milchig-grau. Die Natur sah aus, als wäre sie kurz davor abzusterben. Die Spitzen der bräunlichen Fichten, die aus dem jungen Laubwald herausragten, bogen sich wie unter Schmerzen – aber es war kein Lüftchen zu spüren“ (S. 226). Fazit: Toller Plot, aber die Sprache reicht weder zu Psycho noch zu Thriller.

Klick mich – Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin von Julia Schramm

Über dieses Buch wird viel geredet und geschrieben, vor allem auch im Zusammenhang mit dem Engagement der Autorin als Angehörige der Piraten („Piratenbraut“) und dem Widerspruch zwischen politischen Forderungen und eigenem Verhalten. All das soll hier nicht wiederholt und auch nicht kommentiert werden.
Das Buch ist für mich ein Poesiealbum und damit ziemlich (post)pubertär. Wenn man mal von den ach so „neuen“ Medien absieht, ist das alles ein ziemlich verquastes pseudo-religiöses Gesäusel mit viel Gejammer über die schlechte, kapitalistische Welt.

Zitat: „ich fühle mich eher wie ein Romantiker, der in der Ferne die Intensität spürt“ (S. 97) und weiter: „Funktionierende digitale Freundschaften können miserabel werden, wenn die Körper zur gleichen Zeit am gleichen Ort sind“ (98). Auch bei Novalis wird die Liebe zur Geliebten angewandte Religion, also etwas enorm Aufgeladenes über das profan Körperliche und Weltliche hinaus. Mit dem Etikett „Bekenntnisse“ = Confessiones (von Augustinus beispielsweise), wird eine literarische Tradition angeklickt, bei der in diesem Werk nur die Meldung „404 Not Found“ erscheinen kann. Ohne das mädchenhafte Romantisieren (im falschen, weil überholten Sinne) und ohne die pseudo-religiösen Beschwörungen, ist der zugrunde  Quelltext eine Banalität und für einen männlichen Erwachsenen wie mich eine alberne Lappalie und Zumutung, die man nur aus pädagogischen Erwägungen zu verstehen sucht.

© by Klaus-Dieter Regenbrecht, Koblenz im Oktober 2012